von Jutta Goldammer
Die Goldenen 20iger, wilde, überschwängliche Zeiten mit neuen gesellschaftlichen Freiräumen, Wirtschaftsaufschwung und Blütezeit von Kunst, Kultur und Wissenschaft. Wenn wir uns dem Gedankenexperiment hingeben, hundert Jahre später neue Goldene 20iger zu erschaffen, wie würden sie idealerweise aussehen? Was darf bleiben wie es ist? Was soll wieder aufleben? Was wollen wir neu erschaffen?
Gold 2.0
Nehmen wir doch einmal einen Aspekt der goldenen 20iger heraus und schauen ihn uns genauer an. Was könnte z.B. Aufschwung, Reichtum und Fülle heute bedeuten, mit einem Bewusstsein für die Grenzen des Wachstums unseres Planeten, der Frage nach fairer Verteilung der Ressourcen und einem Leben in Würde für alle Lebewesen? Eine Fülle an Lösungen und Ideen wartet noch darauf, erkundet, gefunden, ausprobiert und umgesetzt zu werden…
Und eine Fülle an Ansätzen gibt es auch schon, die sich auszubauen und weiterzudenken lohnen. Ein paar davon möchte ich hier streiflichtartig berühren, um dich damit zu inspirieren, gemeinsam Goldene Zwanziger auf einem neuen Level zu erschaffen.
2.0 heißt: Weg vom passiven Konsumieren, hin zum Mitgestalten. Klar kann man Reichtum und Fülle einfach nur so für sich konsumieren, mehr anhäufen und eigene Gewinne maximieren. Aber das ist sowas von 2019! Fülle 202.0 ist interaktiv und co-kreativ, es hat etwas mit Teilen, mit Schenken, mit Winwin und fürs Große Ganze Verantwortung übernehmen zu tun.
Eine Kultur der Großzügigkeit – Glück für sich und andere
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Impulse zu einer Kultur der Großzügigkeit von Nipun Mehta, der mit seinem Forum Servicespace Projekte und neues Denken im Sinne einer Schenkenkultur unterstützt und der unter anderem das Schenkrestaurant Karmakitchen ins Leben gerufen hat, das es inzwischen an vielen Orten der Welt gibt.
Wer das ganz im Kleinen mal praktisch ausprobieren mag, kann sich von dem Autor und Unternehmer Kurt Tepperwein inspirieren lassen, der die Gewohnheit hat, wenn er etwas sehr genossen hat, sagen wir einen Theaterbesuch, eine weitere Theaterkarte erwirbt und sie mit einem freundlichen, anonymen Gruß für den/die unbekannte*n Nächste*n hinterlegen lässt, der dazu einlädt, die Geste weiterzugeben und wiederum jemand Unbekannten zu etwas einzuladen.
Impulse der Großzügigkeit wie dieser haben nicht nur die Eigenschaft, anderen eine Freude zu machen, sondern machen auch einen selbst glücklicher, wie ihr in den von Michael Norton durchgeführten Experimenten erfahren könnt, die er in dem TEDx Talk “Wie man sich Glück kauft” beschreibt.
Innere Motoren für Reichtum
Außerdem richtet Schenken als nützlichen Nebeneffekt das Unterbewusstsein auf Fülle aus: “Ich habe so viel, dass ich anderen geben kann, also bin ich wohl reich.” Das fördert das persönliche Wohlstandsempfinden und macht einen magnetisch für Fülle und Reichtum. In dem Buch “Gespräche mit Gott” von dem Autor Neale Donald Walsch ist dieser Mechanismus sehr anschaulich beschrieben.
Ähnlich verhält es sich auch mit dem Richten der Aufmerksamkeit auf Dankbarkeit, eine Grundhaltung, die so viel mehr ist als das “Sag schön danke!”, das ich als Kind lediglich als lästige Höflichkeitspflicht empfunden habe. Erst viel später ist mir die Macht der Haltung von Dankbarkeit bewusst geworden, die unabhängig von den äußeren Umständen, ganz maßgeblich darüber entscheidet, ob ich mich als reich oder arm empfinde. Viel Wertvolles zu diesem Thema hat der interreligiöse Bruder David Steindl-Rast auf der Webseite Gratefulness.org zu sagen, inklusive kleiner praktischer Übungen und Spiele, um die Haltung der Dankbarkeit zu schulen.
Rahmenbedingungen für faire Ressourcenverteilung
Wenn ich den Blick auf die Gestaltung von politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Strukturen richte, die Fülle statt Armut schaffen, fallen mir zwei sehr kraftvolle Ansätze ein: Zum einen die Gemeinwohlökonomie, wie sie der Autor, Aktivist und Tänzer Christian Felber in seinem gleichnamigen Buch beschreibt, mit ganz konkreten Ideen wie z.B. der Gemeinwohlbilanz, die so viel Sinn macht, dass ich mich frage, warum sie nicht längst selbstverständliche Grundlage für politisch-ökonomische Entscheidungen geworden ist.
Foto: Milestoned
Ein weiterer spannender Ansatz ist der der “Commons”, der durch frei zugängliches Wissen im digitalen Raum als Creative Commons eine Renaissance erhalten hat, aber der weit über diesen hinausgeht und den auszuweiten sich aus vielerlei Gründen lohnt. Die Autorin, Forscherin und Aktivistin Silke Helfrich treibt dieses Thema maßgeblich voran, unter anderem mit dem Buch “Commons”, in dem eine Vielzahl internat
ionaler Autor*innen mit den unterschiedlichsten Sichtweisen und gelebten Projekten zu Wort kommen, und was konsequenterweise nicht nur im Laden gekauft, sondern frei heruntergeladen werden kann.
Nutzen statt Besitzen
Ganz alltagspraktisch bin ich begeisterte Nutzerin von Sharing-Konzepten, die es großartig verstehen, den Paradigmenwechsel vom Besitzen zum Nutzen in die breite Masse zu tragen, weil das Mehr an Komfort und/oder Beziehungsqualität und geringere Kosten Argument genug sind, um sich von der Idee des Privatbesitzes zu lösen. Die Fantasie, was man alles miteinander teilen kann, scheint keine Grenzen zu kennen, Wohnungen, Großmütter, Vokabeln, Werkzeug, Arbeitsplätze und Arbeitskräfte…. Eine tolle Übersicht über verschiedenste Tausch- und Teilen-Plattformen gibt es hier. Noch ist es allerdings eher eine Angelegenheit von Endverbrauchern. Doch das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung forscht derzeit daran, inwiefern Sharing Konzepte auch in der Industrie genutzt werden können. Hier ist noch viel Musik drin, um auch in der Industrie mit weniger Ressourcen auszukommen.
Hülle und Fülle auskosten – Gemeinsam die Zwanziger vergolden
Einmal das Fass angestochen, fallen mir immer mehr Ansätze, Links, Ideen, zukunftsweisende Projekte und gelebte Oasen der co-kreativen und kooperativen Fülle ein. Das hier beschriebene ist nur ein klitzekleiner Ausschnitt aus einer Welt voller Ideen – und ich habe mich jetzt nur auf den wirtschaftlichen Aspekt der goldenen Zwanziger beschränkt.
Was ist dir noch wichtig, was hier noch nicht zur Sprache kam? Wo siehst du Möglichkeiten oder gar gelebte Praxis, um die vor uns liegenden Zwanziger zu vergolden, um es reich für alle Lebewesen zu machen? Ich freue mich, wenn du sie hier als Kommentar teilst. Und ich freue mich, wenn du mit einstimmst in den gemeinsamen Gestaltungsprozess, das kommende Jahrzehnt zu einem ganz besonders Wertvollen zu machen – für dich selbst und für die Welt, die dich umgibt!