Endlich 18!
von Jutta Goldammer
Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten
Unser Jahrtausend ist nun also endlich volljährig geworden!18 werden klingt nach: Endlich groß sein. Von allen ernst genommen werden. Endlich alles tun dürfen. Sein eigenes Leben leben und nicht das, was die Eltern, Lehrer oder großen Geschwister einem vorschreiben. Ohne frisierten Schülerausweis in die Disko dürfen, Filme ab 18 ansehen, wählen und Auto fahren sind da nur die Spitze des Eisbergs. Es geht um so viel mehr, es geht um Freiheit, um Selbstbestimmung. Um das Lebensgefühl, dass einen nichts mehr aufhalten kann.Seltsamerweise treffe ich dieses Lebensgefühl bei den meisten Menschen über 18 nicht an. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich: Da sind noch so viel mehr Grenzen, die im Weg stehen, größtenteils selbstgemachte. Sie haben verschiedene Namen, mal heißen sie „Etiquette”, mal „Sachzwang”, mal „Erfahrung”, mal „Sehen wir das ganze doch mal realistisch!“ Und das Schlimmste: Ich entdecke sie in meinem eigenen Kopf.Haben Grenzen nicht mehr Liebe verdient?
Ich trete einen Schritt zurück und frage mich: Bin nicht unfair zu diesen Grenzen? Ich beschuldige sie, mich zu hemmen, zu blockieren und von dem abzuhalten, was mir wichtig ist. Haben sie nicht mehr Achtung und Liebe verdient?Eindeutig, das haben sie! Ein grenzenloses Universum bedeutet grenzenloses Erleben. Das ist das gleiche ist wie gar kein Erleben, weil es keine Unterscheidung gäbe, keinen Kontrast, keine wahrnehmbare Veränderung. Erst durch Grenzen können wir Erfahrungen machen. Und wer will das nicht? Wer will schon verloren im Universum herumdriften, ohne überhaupt zu merken, dass es ihn gibt? Ich jedenfalls nicht.In einem unendlichen Universum ist jede Grenze verhandelbar
Fasziniert hat mich bei der Frage um Grenzen und Grenzenlosigkeit ein Gedanke aus dem Buch „Der Stadtschamane“ über die hawaiianische Huna-Lehre. Der Autor, Serge Kahili King, spricht dort von schöpferischen Grenzen. Der Begriff der schöpferischen Grenzen geht davon aus, dass innerhalb eines grenzenlosen Universums absichtlich Grenzen eingeführt wurden, um einzelne Erfahrungen zu ermöglichen, z.B. hören, sehen, spüren. Viele dieser Grenzen werden seit langer Zeit und von so gut wie allen Menschen als gegeben akzeptiert und daher von uns als unumstößlich erlebt, wie etwa die Gravitation. In einem Feld, in dem Grundannahmen gelten, die eine bestimmte Grenze als gegeben erleben, ist es so gut wie unmöglich, etwas etwas anderes für möglich zu halten, ähnlich, wie es schwerfällt im Bikini auf eine Party zu gehen, wenn alle Gäste in Abendgarderobe gekleidet sind. Und doch – dieses Gedankenexperiment legt nahe, dass die gezogene Grenze gewissermaßen willkürlich, also auch verschiebbar ist. Hier stellt sich für mich die Frage: Welche von den Grenzen, mit denen wir als unumstößlich aufgewachsen sind, die wir seit Menschengedenken als gesetzt halten, sind uns noch dienlich? Viele davon sind sicherlich immer noch sinnvoll, aber bei welchen täten wir gut daran, sie als Menschheit auszuweiten, abzureißen oder an eine andere Stelle zu verlegen?Welche Grenzen will ich unterstützen, welchen entziehe ich meine Gedankenkraft
Zugegeben, das ist sehr, sehr grundsätzlich gedacht und hat auf den ersten Blick wenig alltagspraktischen Nutzen. Und doch inspiriert mich der Gedanke, dass alle Grenzen nur so lange existieren, wie sie von Menschen gestützt werden, die an deren Existenz glauben. Er lädt mich ein, sehr genau hinzuschauen, welche Grenzen ich mit meinem Denken stützen möchte, welchen Grenzen ich meine Gedankenkraft besser entziehe und welche neuen Grenzen ich möglicherweise sogar aufbaue.Mit dem volljährigen Jahrtausend Hand in Hand
Hierbei kann ich mich als Gestalterin erleben und plötzlich wandeln sich die Grenzen von störenden Hemmnissen zu Wänden, die Räume bilden, zu Leitplanken, die mir meinen Weg zeigen. Und dann lasse ich mich von dem gerade 18 gewordenen Jahrtausend an die Hand nehmen, das mir zuflüstert: Komm, los geht das Abenteuer! Es steckt mich an mit dem Entdeckergeist, der Neugier und dem Tatendrang eines gerade volljährig gewordenen Teenagers. Ok, wir holen uns auch die ein oder andere Beule und Schramme, wo eben doch noch eine Grenze ungeschickt im Weg rumstand. Doch wen stört das schon! Was zählt, ist die Lebensfreude und Gestaltungslust und das Wissen: Zusammen kann uns nichts und niemand aufhalten!